»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Eduard Limonow und Richard Millet – Loblieder auf böse Jungs

Martin Lichtmesz

Ich hab’s kommen sehen. Georg Diez, Stammautor des Spiegels, hat sich endlich entkrampft und seiner bisher vom demokratischen Über-Ich geknuteten Faszination für die bösen Jungs freien Lauf gelassen. Offenbar hat er lange dagegen angekämpft. Im Februar dieses Jahres hatte er noch die Gouvernante gespielt und sich semi-hysterisch über angeblich «rechte» Tendenzen in Christian Krachts Roman «Imperium» ereifert.

Unerwarteterweise kam der altbewährte Schlager diesmal nicht an. Nachdem die literarischen peer groups beschlossen hatten, daß Diezens reflexartiges Alarmgebimmel reichlich uncool sei und er womöglich ein übler Banause, ruderte er schnell zurück und kam erstmal ins Grübeln. Das Ergebnis seines Lockerlassens ist lustigerweise eine im Spiegel vom 10. September erschienene hymnische Eloge auf einen russischen Schriftsteller, der um ein Zigfaches «böser», «unkorrekter» und noch dazu explizit «politischer» und «antidemokratischer» ist als der ungleich zahmere Christian Kracht: Eduard Limonow.

Limonow ist nicht nur der (leider bloß spärlich auf Deutsch übersetzte) Kultautor von Büchern wie «Fuck off, America» (1976, dt. 1984), sondern auch der durch wüste Agitation, illegalen Waffenbesitz und angeblich terroristische Konspiration berüchtigt gewordene Gründer und Vorsitzender der «Nationalbolschewistischen Partei». Das Emblem der inzwischen verbotenen Bürgerschreck-Nazikommunisten Rußlands ist eine Art NS-Fahne, in der das Hakenkreuz durch Hammer und Sichel ersetzt wurde. Ihre Triebfeder ist laut dem originalen Parteiprogramm (1994) der «einäschernde Haß».

«…gegen das antihumane System der Troika, die aus dem Liberalismus, der Demokratie und dem Kapitalismus besteht. Der Mensch der Rebellion, der Nationalbolschewik, sieht seine Mission in der Zerstörung des Systems bis auf den Grund. Auf den Idealen des geistigen Mutes, der sozialen und nationalen Gerechtigkeit wird eine traditionalistische, hierarchische Gesellschaft aufgebaut.»

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Bohemien, Punkrock-Fan und Anarchofaschist Limonow mit dem traditionalistischen «Eurasien»-Ideologen Alexander Dugin zusammengerauft; später sollten sie sich überwerfen und getrennte Wege gehen.

In den Neunziger Jahren unterstützte Limonow lautstark Radovan Karadžic und den serbischen Nationalismus und nahm als Scharfschütze am bosnisch-serbischen Krieg teil.

Sein Biograph Emmanuel Carrère schreibt:

Limonow war ein Kleinkrimineller in der Ukraine, ein Idol des sowjetischen Undergrounds, Obdachloser, Kammerdiener eines Milliardärs in Manhattan, Starschriftsteller in Paris, ein Soldat, der sich in den Balkanraum verirrte, und jetzt, in diesem heillosen Chaos des Postkommunismus, ist er der alte, charismatische Chef einer Partei von jugendlichen Desperados.

Limonow im aktuellen Gespräch mit Georg Diez:

Mein Leben ist ein Abenteuer. Die Franzosen lieben das: Kerle, die ein gefährliches Leben führen. Jemand wie Jean Genet. Aber die politische Korrektheit hat auch das vernichtet. Wir erleben einen Genozid der Helden… Ich hatte das Glück, dass ich in meinem Leben die vier Erfahrungen machen durfte, die ein Mann machen muss: Gefängnis, viele Frauen, Exil, Krieg. Besonders Krieg. Männer lieben Krieg.

1989 schrieb er in der Pariser Zeitschrift «L‘idiot international»:

Unsere «demokratische» Zivilisation ist ein wunderbares System für Behinderte, Alte, schwangere Frauen und all die Menschen ohne Talent und ohne Energie. Die Demokratie ist ein Paradies für schwache und mittelmäßige Menschen und zerstört systematisch die Besten.

Bummsti. Und im Februar warnte Diez noch im zitternden Alarmton vor der schröcklichen Gefahr, die er zwischen den Zeilen des «Türstehers der rechten Gedanken» Christian Kracht aufindig gemacht haben wollte:

An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.

Nun scheint er herausgefunden zu haben, wie sexy ein derart schlechtes Benehmen sein kann. Dabei bemüht er sich freilich zu betonen, daß Limonow zwar ein «großartiger Schriftsteller» sei, der Bücher von «großer Schönheit, Kraft und Wahrheit» schreibe, aber freilich auch ein «Scheusal», denn er hasse «den Westen und seine Werte, er wünscht ihm das Üble und den Untergang». Huch!

Diez hat also brav seine Hausaufgaben gemacht, und hundertmal an die Tafel geschrieben: «Ich soll Kunst nicht mit Politik vermischen», und wir wünschen ihm, daß ihn seine peer group nun wieder im Kreis der Coolen akzeptiert. Dabei hat er sich diesmal sogar schneidig getraut, Sympathien für die «extremistische» Dissidenz Limonows anklingen zu lassen:

Im Russland Putins ist noch der irrste Desperado ein Hoffnungsträger.
Limonow mag Linksextreme und Rechtsextreme, weil die nicht so langweilig sind wie die Mitte. Er mag den Krieg, weil der nicht so langweilig ist wie der Frieden. Er mag den Sex, meistens mit Frauen, wenn es sein muß, auch mit Männern. Er mag Feinde, was wäre er ohne Feinde?

Vermutlich hat Diez diesmal auch deswegen die deutschen Komplexe fahren lassen können, weil Limonow im fernen Rußland lebt, und man sich an fremdem Rebellentum unverbindlicher ergötzen kann. In Deutschland geht es heute zugegebenermaßen wesentlich langweiliger zu, und wir haben kaum mehr schillernde «enfants terribles» von Format. Keinen Limonow und keinen Sachar Prilepin, auch er ein von den deutschen Medien wohlwollend gefeierter «Nationalbolschewist». Und unsere «Extremisten» sind vor allem extrem dämlich und nur mäßig unterhaltsam, dienen in erster Linie als Entlastungsventile und Sündenböcke.

Diez, bißchen neidisch klingend:

Vielleicht gibt es nur in Russland solche Figuren (wie Limonow): jemanden, der ständig aus irgendeinem Kellerloch gekrochen kommt, das er für den Olymp hält.

Weniger Glück mit der Rolle des Provokateurs hatte der französische Schriftsteller Richard Millet, Autor von bislang über 50 Büchern. Während Karlheinz Stockhausen weiland noch damit durchkam, die Terroranschläge vom 9. September 2001 als grandiose Performance-Kunst zu deuten, hat Millet nicht nur seinen Ruf schwer beschädigt, sondern auch seinen Posten als Lektor beim französischen Verlagsgiganten Gallimard verloren. Der Grund war ein Essay mit dem Titel «Loblied auf Anders Breivik» (Éloge littéraire d‘Anders Breivik).

Dieser Titel sei natürlich ironisch gemeint gewesen, erklärte Millet gegenüber der FAZ. Das konnte und wollte man aber offenbar nicht verstehen. Dennoch sei es zunächst vor allem «die formale Perfektion der Breivikschen Tat» gewesen, die sein Interesse geweckt hätte. Den entscheidenden Anstoß zu dem Essay gab allerdings

…die Art, wie man mit Breiviks Morden in Frankreich umging, die mich aufgebracht hat, vor allem ein Artikel im «Nouvel Observateur». Dort versuchte der Journalist die Ursachen der Breivikschen Tat unter Rekurs auf Knut Hamsun und die Edda zu erklären. Er behauptete letztlich, die Literatur sei für Breivik verantwortlich. Übrigens kam ihm nicht die Frage in den Sinn, was Breivik denn zeige. Dabei wirft sein Tun gewaltige Fragen auf.

Und hier liegt wohl der Hauptgrund, warum Millet nach kurzem, irritiertem Zögern kein Pardon gegeben wurde: die Tatsache, daß er ganz offensichtlich kein Linker ist und mächtig wider den linken Stachel löckt. Sein Tonfall hat dabei durchaus Anklänge an Montherlant und andere Klassiker der französischen Rechten. In seinen Augen hat auch Frankreich schon bessere Zeiten gesehen hat, was Politik und Literatur angeht.

Sie schreiben, Frankreich sei «in der Literatur nur noch eine Bananenrepublik». Was verdrießt Sie so sehr?
Der Verfall der Sprache und ihrer Struktur, das Fehlen jeglichen Stils, die Kulturlosigkeit der Autoren…
Ich besitze ein schmerzvolles, exzessives Bewusstsein dessen, was Frankreich einmal war. Aber heute steht Frankreich ganz ohne Vision da, es verlischt. Wir geben es auf, seine Sitten, sein Erbe, und unsere Sprache verfällt, aber wir glauben immer noch, ganz oben zu stehen.

Die Gründe dieses Niedergangs sieht er in einer Art «Psychologie der Niederlage»:

Frankreich hat sich trotz de Gaulles und Malraux’ Taschenspielertricks niemals von der Niederlage 1940 erholt, es hat Vichy und die Entkolonisierung niemals verarbeitet. Anders als die Angelsachsen, die ihre Vergangenheit leichter akzeptieren und besser mit ihren Niederlagen umgehen, hat Frankreich ein Problem mit seiner Geschichte.

Und dann kommt es so richtig dicke. «Millet richtet sich auf», notiert der Interviewer der FAZ, ehe er folgende Attacke anstimmt:

Hinzu kommt noch der übermäßig aufgeblasene Achtundsechziger-Mythos, dieser gewaltige Betrug, der hinter der Fassade des Situationismus und des Surrealismus die Verbrechen des Maoismus und des Stalinismus versteckt. Die Achtundsechziger haben das französische Bildungssystem zerstört und jeglicher Form von Autorität und Hierarchie die Glaubwürdigkeit genommen. Das Erbe ist die politische Korrektheit. Deswegen darf man in Frankreich über gewisse Dinge nicht reden.

Vor allem nicht darüber, wie Europa Stück für Stück abgetragen und zerstört wird, um an seiner Stellen eine Art Euro-Orient zu errichten:

Wenn Sie mit dem Zug in Rotterdam ankommen, sehen Sie als Erstes eine riesige Moschee. In meinen Augen untergräbt diese Moschee das typisch Holländische. Sie springt mich an. Muss ich diese Tatsache in meine Schilderung aufnehmen, oder muss ich mit Schweigen darüber hinweggehen? Wenn ich darüber rede, ziehe ich mir den Zorn der politisch Korrekten zu. Lasse ich sie weg, übe ich Selbstzensur.

Die Reaktion Breiviks auf diesen Prozeß sei «monströs» gewesen, müsse aber als Symptom ernstgenommen werden. Der Attentäter sei «nicht nur das Produkt einer zerrüttten Familie, sondern auch des ideologisch-ethnischen Bruchs, den die außereuropäische Einwanderung nach Europa verursacht hat.»

Sie haben geschrieben: «Breivik ist zweifellos das, was Norwegen verdiente und was unsere Gesellschaften erwartet, die sich unablässig blind stellen, um sich besser selbst verleugnen zu können.»
Ich denke, die europäischen Länder, die sich blind gegen die Folgen der Ideologie des Multikulturalismus stellen, werden Breiviks hervorbringen, wie Frankreich einen Mohammed Merah hervorgebracht hat.
In Ihren Augen haben Breivik und Merah denselben Kampf geführt?
Ihre Argumente sind jedenfalls teilweise deckungsgleich. Sie symbolisieren den versteckten Bürgerkrieg, der in Europa stattfindet.

Dieser werde vor allem durch die Ideologie des Multikulturalismus hervorgebracht:

In Frankreich ist das Thema, wie gesagt, tabu. Vor allem spricht man nicht über die Zahlen. Ich behaupte, eine massive Einwanderung kann nicht ohne Folgen bleiben. Ich lehne solch eine massive Einwanderung ab, und ich lehne es ab, dass man nicht darüber reden darf und dass man Beleidigungen über sich ergehen lassen muss, wenn man es dennoch tut.
Viele Immigranten haben mehr Würde als französische oder europäische Dummköpfe. Und die Asiaten oder Pakistaner haben den Willen, sich auf Frankreich einzulassen. Das gilt jedoch nicht für die Immigranten aus dem Maghreb. Sie führen einen hasserfüllten postkolonialen Diskurs, der sich gegen Frankreich richtet.

Wie immer, wenn jemand ein echtes Tabu anspricht, richtet sich dieses gegen ihn, um ihn auf paradoxe Weise zu bestätigen. Antoine Gallimard distanzierte sich von seinem langjährigen Mitarbeiter, der nicht nur Preisträger des renommierten Prix Goncourt ist, sondern als Herausgeber auch für einen der größten Coups des Verlagshauses verantwortlich ist, nämlich für Jonathan Littells gefeierten Bestseller «Die Wohlgesinnten».


«Sezession.de», 24. September 2012

Eduard Limonow

Original:

Martin Lichtmesz

Eduard Limonow und Richard Millet – Loblieder auf böse Jungs

// «Sezession» (de),
24.09.2012