»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Mein wilder Bruder im Geiste

Jörg Aufenanger

Emmanuel Carrères Roman über den russischen Dauerprovokateur und Autor Eduard Limonow.

Was fasziniert so an diesem Buch? Ist es das Leben eines ungewöhnlichen Menschen oder die Art und Weise wie sein Biograph es uns erzählt? Eduard Limonow ist zweifelsohne ein extravaganter Abenteurer zwischen allen Welten. Den französischen Schriftsteller Emmanuel Carrère hat er derart in seinen Bann gezogen, dass der nicht umhin konnte, nicht nur dessen Leben zu schildern, sondern meinte, sich mit ihm vergleichen zu müssen. Das Buch könnte daher auch den Titel tragen: Limonow und Ich.

Abenteurer

Limonow ist unter armseligen Verhältnissen in Charkow aufgewachsen, hat die Tristesse eines Lebens im kommunistischen Russland am eigenen Leibe erfahren, doch als Kind schon beschließt er, ich will außergewöhnlich werden und der Welt meinen Stempel aufdrücken.

Undergrounddichter

Carrère indes ist in den Beaux Quartiers von Paris herangewachsen, ein verwöhntes, gelangweiltes Kind mit einer berühmten Mutter, das in seiner Lebensschwäche von einem abenteuerlichen Leben nur träumen kann. «Ich wäre gern dazu in der Lage, bin es aber nicht», schreibt er und meint da nicht nur den Wunsch, ein Leben wie Limonow zu führen, sondern auch die Unfähigkeit, dessen Leben zu schildern. So verfasst er nicht nur eine Biografie, sondern erfindet, was er nicht von ihm weiß, hinzu und schreibt so eine Art Roman über das romanhafte Leben eines anderen.

Wir kennen das Muster aus der derzeitigen französischen Literatur. Man bedient sich eines anderen, um über sich zu schreiben, so wie Laurent Binet in seinem Roman über Heydrich, wie Yannick Haenel über Jan Karski. Nach einer erbärmlichen Kindheit in der Provinz, wo er als Kleinkrimineller auch Gedichte schreibt, bricht Limonow nach Moskau aus, wird zu einem Undergrounddichter und Dissidenten, nicht ein weinerlicher wie andere, sondern einer, der Stalin verehrt. Er ist Dandy und Provo mit einer im wahrsten Sinn des Wortes «unheimlichen» Lust am Tabubruch, der davon träumt, allen, auch mit Gewalt, zu zeigen, wie großartig er ist. Alles kommt ihm recht, was sein Leben schillern lässt. Er legt sich eine der schönsten Frauen Moskaus zu, geht mit ihr in die USA, lebt als Clochard, vögelt, um sich auszuprobieren, mit schwarzen Männern, wird Diener eines Milliardärs, schreibt sein neues Leben als Underdog auf: «Fuck off America». Keiner will das schockierende Werk veröffentlichen, bis ein französischer Skandalverleger den Roman druckt. Frank Castorf hat ihn vor vier Jahren auf seine Bühne des Volkes gebracht.

In Paris wird Limonow zur Kultfigur einer gelangweilten literarischen Bürgerboheme, und er verfasst weiter Romane, so «das Tagebuch eines Versagers». Aber Carrère, der zu den Faszinierten gehört, gesteht: «Sein Leben imponierte mir mehr als die Art wie er darüber schreibt». Er ist abhängig wie von einem anderen Ich.

Nazisympathisant

Doch Limonow lässt sich auch in Paris nicht bändigen, geht zurück nach Moskau, wettert gegen die Perestroika, würde Gorbatschow am liebsten erschießen, träumt weiter vom Tag der großen Abrechnung. In den 90er-Jahren taucht er in Sarajewo auf und schießt sich an der Seite der Serben frei, endlich. Die Faszination unter den bürgerlichen Intellektuellen für ihn weicht einer Fassungslosigkeit. Schließlich gründet Limonow in Russland die Nationalbolschewistische Partei mit Nazi- und Sowjetsymbolen, reiht sich ein in die Front der Putingegner, doch es ist ruhig geworden um den nunmehr 69-Jährigen.

Solange Carrère dieses irrlichternde Leben auch mit einem Schuss an Erfindung erzählt, vermag er, den Leser zu faszinieren, doch sobald er sich neben oder gar vor Limonow schiebt, wird es eitel und flau.


«Frankfurter Rundschau», #18, 22. Januar 2013

Eduard Limonow

Original:

Jörg Aufenanger

Mein wilder Bruder im Geiste

// «Frankfurter Rundschau» (de),
22.01.2013