»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Eduard Limonow, Held der östlichen Welt

Felix Schneider

Eduard Limonow ist eine irritierende Figur der russischen Öffentlichkeit: Kleinkrimineller, Faschist, Stalinist — aber auch: bedeutender Schriftsteller, Guerillero und mutiger Nonkonformist. Der französische Schriftsteller Emmanuel Carrère hat ihn porträtiert.

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre verehrten ihn Tausende von jungen Russinnen und Russen. Für Eduard Limonow und seine Nationalbolschewistische Partei gingen sie jubelnd ins Gefängnis. Als er selbst 2003 aus dem Gefängnis entlassen wurde, stritten sich Insassen und Aufseher darum, wer ihm den Koffer tragen dürfe. In den 80er Jahren war er ein Star im Pariser Intellektuellenmilieu. Sein Biograph Emmanuel Carrère findet, «sein romanhaftes, gefährliches Leben erzähle etwas (...) über unser aller Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs».

Limonow fasziniert — aber warum?

Carrère konfrontiert die Spannweite von Limonows sozialer Erfahrung mit seinem eigenen Lebenslauf. Im bürgerlich-intellektuellen Paris aufgewachsen und dort verblieben, habe ihn das Leben nicht weit von seinen Wurzeln weggeführt, sagt Carrère — und das dürfte auch für viele seiner Leserinnen und Leser gelten.

Der Gefängnisinsasse Limonow dagegen erkennt, dass im Vorzeigeknast von Engels dieselben — von Philippe Stark entworfenen — Kloschüsseln hängen wie in dem New Yorker Luxushotel, in dem ihn sein Verleger untergebracht hatte. Limonow ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden, der aus eigener Erfahrung sowohl den russischen Knast als auch das New Yorker Luxushotel kennt.

Vom sowjetischen Provinznest nach New York

Eduard, Jahrgang 1943, kommt von weither. Er ist in der sowjetischen Provinz der Nachkriegszeit aufgewachsen. Stalin war der Übervater — Limonow bleibt ihm ein Leben lang treu. Sein wirklicher Vater war ein einfacher Geheimdienstmitarbeiter. Der Sohn bewunderte ihn und sein militärisches Wertesystem masslos — bis er merkte, dass sowohl sein Vater als auch er selbst Versager waren, Versager gemessen an ihren eigenen verinnerlichten Wertvorstellungen! Nun will er König des Verbrechens werden — doch es reicht nur zum Kleinkriminellen, zum Knast, zum Suizidversuch, zur Psychiatrie...

Dank seiner Energie und Begabung wird Limonow bald ein Idol des sowjetischen Untergrunds, bis er 1975 nach New York geht. Dort lernt er Obdachlosigkeit, Hunger und Elend kennen, bis er Kammerdiener eines Milliardärs wird. In den postkommunistischen Wirren nach 1989 wird er zum charismatischen Führer einer Partei, die wir ohne weiteres als faschistisch bezeichnen würden, bis wir hören, dass sie zumindest zeitweise Teil der Demokratischen Opposition war und Limonow auf Pressekonferenzen zusammen mit Garri Kasparow auftrat.

Limonow ist unsere andere Seite

Limonow ist das Abenteuer, wir sind die Bravheit. Er ist der Osten, wir sind der Westen. Er erinnert uns: Millionen haben die jüngste Vergangenheit anders erlebt als wir. Diesen Menschen kann man nicht sagen, dass ihr Leben, das Leben ihrer Eltern und Grosseltern; dass alles, woran sie geglaubt haben, wofür sie gekämpft und sich geopfert haben, dass das alles nur so schlecht wie der Faschismus gewesen sei. Wladimir Putin, in vieler Hinsicht «ein Double von Eduard» (Carrère) sagt: «Wer den Kommunismus wiedererrichten will, hat keinen Verstand. Wer ihm nicht nachtrauert, hat kein Herz.»

Limonow verkörpert auch die andere Seite unserer gesellschaftlichen und politischen Moral. Menschenrechte, Demokratie, Mitleid — all das hält er für Bullshit. Und zwar aus Überzeugung. Er hat für seine Auffassungen Nachteile und Verfolgung in Kauf genommen. Er hat alle Gelegenheiten, sich ins wohlmeinende Mehrheitslager zu integrieren, ausgeschlagen. Er lebt heute mit 70 noch so arm, marginalisiert und halblegal wie mit 20. Spätestens sein Engagement auf Seiten der Serben im jugoslawischen Bürgerkrieg hat ihm im Westen die letzten Sympathien gekostet.

Romanbiographie als neue literarische Form

Seine moralische Fundamentalopposition zwingt uns indes zu heilsam grundsätzlichen Überlegungen. Wir sind es kaum noch gewohnt, unseren eigenen Standpunkt begründen zu müssen. Und es ist dies gelegentlich ein schwindelerregender Trip, denn in der allumfassende Korruptheit der postkommunistischen Ära, in der jede Moral recht ist, sofern sie zu Geld und Macht verhilft, wird ein überzeugter Fascho wie Limonow geradezu zu einer moralischen Instanz. Zuletzt fragt sich auch, ob die Faszination, die vom bösen Limonow ausgeht, nicht drauf hinweist, dass uns unser politischer Grundkonsens nicht wirklich befriedigt.

Der Filmer und Schriftsteller Emmanuel Carrère hat zur Darstellung von Limonows Leben eine neue literarische Form entwickelt: eine Art Romanbiographie. Als Quelle dienen ihm fast ausschliesslich Limonows Werke, die überwiegend autobiographisch sind. Er thematisiert sein Verhältnis zu Limonow, das Wechselbad der Gefühle von Bewunderung bis Abneigung, seine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihm. Er führt sich, seine Mutter — eine bekannte Historikerin, mit Spezialgebiet Sowjetunion und Russland! – und seine Freunde in die Erzählung ein. Er schreibt auf weite Strecken auch einfach eine Geschichte Russlands — und er schreibt immer, als Biograph wie als Historiker — sehr, sehr gut.


«SRF (Schweizer Radio und Fernsehen)», 13. Februar 2013

Eduard Limonow

Original:

Felix Schneider

Eduard Limonow, Held der östlichen Welt

// «SRF» (ch),
13.02.2013