Sebastian Wagner «Tabuisierte Sprachvarietäten im Russischen und ihre Übersetzung ins Deutsche»

Sebastian Wagner

Tabuisierte Sprachvarietäten im Russischen
und ihre Übersetzung ins Deutsche

Ein theoretischer Abriss und Übersetzung ausgewählter Textpassagen
aus Ėduard V. Limonovs Werk «Ėto ja — Ėdička» ins Deutsche

// Frankfurt am Main: «Peter Lang GmbH», 2016,
Taschenbuch, 129 S.,
ISBN: 978-3-631-67495-6,
Abmessungen: 210⨉148⨉8 mm

limonka

Vorwort

Vorliegende Publikation ist einem aktuellen Problem innerhalb der Linguistik gewidmet. Die russische Sprachwissenschaft beschäftigte sich in der Sowjetzeit in erster Linie mit der Standardsprache (in sowjetischer Terminologie: Literatursprache). Die sub- und nichtstandardsprachlichen Varietäten (inklusive invektive und Tabulexik) wurden kaum erforscht. Eine intensive Beschäftigung mit solchen Fragestellungen wurde erst mit Beginn der Perestrojka möglich, die den bis dahin geltenden (ideologischen) Beschränkungen und dem im sprachlichen Bereich praktizierten Reinheitskult ein Ende setzte. Der Wegfall dieser Restriktionen sowie die Durchsetzung von Glasnost‘ und Pluralismus hatten eine verstärkte Hinwendung zu varietätenbezogenen soziolinguistischen Themen zur Folge.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der Verfasser der vorliegenden Monographie sich der nonstandardsprachlichen Problematik mit Schwerpunktsetzung auf den MAT annimmt und am Beispiel von Werken eines bekannten Schriftstellers untersucht.

Die Publikation ist in 5 Abschnitte gegliedert, wobei neben einer übersichtlich gehaltenen Einleitung und der präzisen Auswertung zwei theoretisch-referierende Kapitel (Kapitel 2: Der MAT im Sprachsystem des Russischen; Kapitel 3: Der MAT als tabuisierte und zugleich ubiquitäre Sprachvarietät) und ein empirischanalytisches Kapitel (Der MAT in Eduard V. Limonovs Werk «Eto ja — Edička») den Schwerpunkt der Monographie bilden.

Die Veröffentlichung besteht weiterhin aus einem abschließenden Resümee mit Ergebnisauswertung und -zusammenfassung, einem 40 Positionen umfassenden Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einer Abkürzungsliste.

Von der Beschreibung der System- und Normenproblematik über die Einordnung des MAT in das sprachliche Varietätensystem des Russischen, die Beschreibung der etymologischen, semantischen, funktionalen und derivativen Besonderheiten der Matismen spannt der Verfasser den Bogen bis hin zur Betrachtung von Matismen im literarischen Werk eines russischen Schriftstellers.

In den dem Zentralkapitel vorgeschalteten Abschnitten offeriert der Verfasser dem Leser eine sich auf die einschlägige lexikologische, semantische sowie varietäten- und soziolinguistische Fachliteratur stützende überzeugende Bestimmung und Charakterisierung des MAT als eine nichtstandardsprachliche Existenzform des Russischen sowie eine detaillierte Beschreibung und Klassifizierung der Matismen und ihrer Funktionen. Dabei geht er ausführlich auch auf deren Herkunft, Wortbildung, Bedeutung sowie Verbreitung, Verwendung und Tabuisierung ein.

Von solider Systemkenntnis und sprachwissenschaftlich geschärftem Blick des Verfassers zeugen die gut durchstrukturierten und die theoretische Grundlage der Monographie bildenden Kapitel 2 und Kapitel 3, in welchem nachvollziehbar begründet wird, warum der MAT in einem dreistufigen Varietätenmodell des Russischen verortet werden sollte. Der Verfasser hat Recht, wenn er argumentiert, dass das von manchen Autoren bevorzugte zweistufige Varietätenmodell Standard-Substandard ihm nicht als kritiklos hinnehmbar erscheint und stattdessen das dreistufige Modell Standard-Substandard-Nonstandard für das Russische präferiert werden sollte. Die produktive Anwendung des Drei-Stufen-Modells auf sein Thema und die dabei erzielten Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass dieses Modell das für das Russische geeignetere ist.

Im mit großer philologischer Sorgfalt verfassten zweiten Kapitel ist es dem Autor gelungen aufzuzeigen, dass und wie sich der synthetische Charakter des Russischen sogar im MAT reflektiert. Der Leser ist beeindruckt von der Darstellung der nahezu grenzenlosen Wortbildungsmöglichkeiten innerhalb des MAT, obwohl nur wenige Primärlexeme zur Verfügung stehen.

Die Beschreibung des konkreten Matismengebrauchs, d.h. die Analyse der spezifischen belletristischen Verwendung von Matismen in Prosawerken (d.h. fiktionalen Textsorten) des Schriftstellers Limonov, sehr erfolgreich und akribisch realisiert im Kapitel 4, beinhaltet neben Aussagen über den Autor, über das Korpus und den Umgang mit ihm auch den vom Verfasser mit Recht als Herausforderung bezeichneten Versuch der Übersetzung einer signifikanten Zahl der im Korpus angetroffenen Matismen ins Deutsche (94 Beispielsätze).

Der Verfasser meistert diese Herausforderung in überzeugender Weise, weil er neben der linguistischen Seite (inklusive Kontextbezogenheit, Situativität, Besonderheiten des Deutschen) auch die kulturelle Seite berücksichtigt.

Insgesamt betrachtet, ist die vorliegende Monographie ein erhellender Beitrag zur Varietätenforschung im Russischen.

Merseburg, d. 28.02.2016

Dr. Hellmut Eckert

Wissenschaftlicher Mitarbeiter für russische Sprachwissenschaft am Seminar für Slavistik der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg (1972–2015)

Lehrbeauftragter am Seminar für Slavistik (seit Oktober 2015)

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